RAA 1500...eine außergewöhnliche Herausforderung für mich als Freizeitradsportler in zweierlei Hinsicht: zum einen weil ich noch nie so lange nonstop gefahren bin und die Strecke definitiv anspruchsvoll ist mit prognostizierten hohen Sommertemperaturen in diesem Jahr. Zum anderen weil ich ein unvollendetes Finish von 2015 ausgleichen möchte und niemand weiß, was sich auf 1500km Streckenlänge ergibt. Mit großem Respekt und gestärkt vom erfolgreichen Finish beim diesjährigen Race Across Italy starte ich mit meinem Team in ein aufregendes Rennen, das wir in 3 Tagen, 12 Stunden und 14 Minuten finishen werden.

Wie schon vor zwei Jahren begegnen wir bis zum Morgen nach der ersten Nacht immer wieder anderen Teams, was diese erste Phase des Rennens kurzweilig werden lässt, nicht zuletzt auch durch die hügelige Streckenführung des Mühlviertels. Am nächsten Morgen erfordert die Route entlang der niederösterreichischen Grenze bis zum Neusiedlersee aufgrund der hohen Temperaturen, am Nachmittag bis 38 Grad Celsius, viel Kühlung von außen und innen und ein gutes Nahrungsmanagement. Dank meines hingebungsvollen Teams komme ich gut in die zweite Nacht, allerdings ziehen schon seit den späten Nachmittagsstunden Unwetter auf, die den Abendhimmel rund um uns mit bedrohlichen Blitzen erhellen und gar nicht weit neben unserer Straße einige Bäume umgerissen haben. Zum Einbruch der Nacht ist es dann soweit: mein Team stoppt geistesgegenwärtig neben dem Pfarrhaus einer kleinen burgenländischen Gemeinde, bugsiert mich ins Pacecar und parkt mein Rad im geschützten Eingang des Pfarrhauses. Keine zwei Sekunden später fegt ein orkanartiger Gewittersturm durch die Straßen, rüttelt am Pacecar-Bus und biegt die Baumwipfel Richtung Boden. Das Unwetter hält eineinhalb Stunden in ungebremster Heftigkeit an; wir nutzen die Zeit für einen Schlaf - zu viert im Pacecar bei geschlossenen Fenstern, aber das stört niemanden, wenn Schlaf zu einer raren Kostbarkeit wird. Nachdem sich Blitz und Donner nach guten 90 Minuten verzogen haben, bleibt nur noch ein mittelstarker Regenfall über, in den ich mich zu mitternächtlicher Zeit wieder in den Sattel schwinge. Was uns die nächsten Kilometer präsentieren, ist mit dem Rennrad nur grenzwertig zu bewältigen: die Straßen sind übersät mit Ästen und Nadelzweigen, die der Sturm von den Bäumen gerissen hat. Im Lichtkegel des Pacecars tauchen links und rechts neben der Straße umgerissene Bäume auf, die von einem gewaltigen Unwetter herrühren müssen. Wir hatten großes Glück und sind dankbar so gut beschützt worden zu sein. Am folgenden Tag stoße ich in heimatliches Gebiet vor, beginnend bei Halbenrain, wo wir unser viertes ausgeruhtes Teammitglied Wolfram begrüßen, der einen der beiden Fahrer ablöst. Diesmal halte ich mich in Halbenrain nicht lange auf, bin gut drauf und weiter geht's in die südsteirische Weinstraße. Nachmittags auf der Soboth freue ich mich über eine unterhaltsame  Begleitung von Tom, wodurch die Fahrt zur Passhöhe erstaunlich kurzweilig wurde, und die anfeuernden Rufe meines Glocknerman-Teamchefs Andi. 

In der dritten Nacht bei Arnoldstein wird's dann ein bisschen gruselig: zuerst fahren wir an einem toten Pferd, das auf der Straße liegt, vorbei - mein Teamchef meldet den Unfall bei der Polizei. Ein paar Kilometer später habe ich das Gefühl, dass Fledermäuse rund um meinen Kopf fliegen. Unsicher winke ich das Pacecar neben mich und erkundige mich, ob sie auch die Fledermäuse sehen. Mein Teamchef versichert mir, dass alles ok ist und es schon sein könne, dass die Tiere in der Nacht unterwegs sind. Insgeheim weiß meine Crew wohl, dass sich wegen des Schlafentzugs Halluzinationen bemerkbar machen. Etwas später "sehe" ich auch Leute am Straßenrand. Zwanzig Minuten Powernap beseitigen diese unangenehmen Gehirnmanöver. Lesachtal, Kartitscher Sattel, Iselsberg, Winklern - noch immer gut im Sattel und auch in den Beinen. Plötzlich überkommt mich auf der Fahrt nach Heiligenblut das Bedürfnis meine prophylaktischen Rückentapes loszuwerden und ich ziehe sie während der Fahrt ab - ein Fehler mit Folgen, denn kurz darauf plagen mich Rückenschmerzen, die mich zu einer kleinen Pause zwingen. Dank der Betreuung meines Teamchefs trete ich langsam aber sicher wieder weiter, immer weiter Richtung Großglockner. Dieser Berg verlangt einem seine ganze Kraft ab, besonders spürbar nach 1200km und mehreren Tausend Höhenmetern in den Beinen. Leichter Regen setzt ein. Dank Aldo, der die meiste Zeit der Strecke neben mir herläuft und mir damit mit seiner Anwesenheit beisteht, kann ich die Schmerzen und die Müdigkeit überwinden bis zum Hochtor, wo ich nur noch so schnell wie möglich auf der anderen Seite ins Salzburgerische hinunter fahren will. Keine angenehme Angelegenheit bei Regen und Nebel, aber erleichtert diese Hürde überwunden zu haben. Nun trennen mich noch gute 200km und zum Abschluss noch rampenartige Anstiege von bis zu 15% auf den Dienten Sattel auf rund 12km Länge von meinem ersehnten Ziel St. Georgen. Die Fahrt auf den Dienten Sattel ist trotz der Anstrengung abwechslungsreich, weil wir auf andere Teams der Extreme-Runde und deren Fans treffen, die sich entlang der Strecke aufgebaut haben. Auch ein Rennkollege, der vorzeitig abbrechen mußte, kommt und feuert mich an. Was für ein Hochgefühl! Dann allerdings wird es ruhig, flach, regnerisch und irgendwie langweilig. Zum Glück gibt's meine Crew, die mich noch einmal ordentlich in die Pedale treten lässt - und dann: Lichter vor uns am Straßenrand, das Ortsschild St. Georgen! Ich bin am Ziel, nach 1500km und 17500 Höhenmetern - selig!

Mein Team wird mit dem Pacecar von einem Motorrad zur Zieltribüne gelotst und ich genieße den letzten Kilometer flankiert von einem weiteren Motorrad die Fahrt auf die Tribüne, von der ich vor 3 Tagen, 12 Stunden und 14 Minuten in ein fantastisches Abenteuer gestartet bin.

 

Das ist #RAWBIT - der Hase für den Hasen ;-)


c h r i s t i a n    b e i c h e l